Bedingungslose Liebe
Ausschnitt aus dem Roman:
„Seelenwege – Die magische Reise einer Frau zu sich selbst“
von Ina Ruschinski (Schirner Verlag) Seite 62/63
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Ich drehe mich um und schaue Guai Yaga an. Ich bin mir nicht sicher, ob ich verzweifelt oder wütend sein soll. Doch die Schamanin lächelt nur, und sie tut das so liebevoll, dass es mich tief in meinem Inneren berührt. Ihre Kraft durchfließt mich. In meiner Brust spüre ich plötzlich Wärme und ein Gefühl der Verwundbarkeit, das mich fast zum Weinen bringt.
„Siehst du, Nida“, sagt sie leise. „Das ist es, was ich meine. Das ist bedingungslose Liebe. Die gebe ich dir, dem Yak und all
den anderen Tieren, den Pflanzen, den Steinen, der Erde, der ganzen Schöpfung. Deine Kraft ist stark, wenn du sie mit Liebe füllst. Alles, was du tust, hat Sinn, wenn du es in Liebe tust. Du
wirst es spüren. Es ist nicht die personenbezogene Liebe wie beim Verliebtsein. Es ist eine Art Urgefühl, das dir alt und vertraut erscheinen wird, wenn du es spürst. Es ist in dir und begleitet
dich seit vielen Leben. Du kannst es selbst wachrufen, wann immer du nur willst. Es ist der Funke des Göttlichen, der in dir wohnt. Es ist deine Seele. Wenn du sie spürst und ihr den Raum gibst,
dein Leben zu bestimmen, wirst du ein Gefühl von Verbundenheit mit allem erleben. Du wirst plötzlich wissen, dass du dazugehörst
und in der Gesamtheit der großen Schöpfung aufgehoben bist.“
„Das geht mir zu schnell“, murmle ich. „Ich glaube, ich kann dir nicht folgen.“
Guai Yaga lächelt. „Wenn du das Geschehen um dich herum aus der Mitte deiner Brust betrachtest, aus dem Gefühl, das dich weinen lässt, wenn du einen Sonnenuntergang siehst oder ein Tier, das dir Vertrauen schenkt, oder vielleicht auch, das du empfindest, wenn du die Hände eines Menschen nimmst, mit dem du mitfühlst, dann bist du in der bedingungslosen Liebe. Das ist die stärkste Kraft aller Energien, die es gibt. Du bist geschützt und eins mit deinem inneren Kern, der von der großen Quelle stammt, und der in allem lebt, was beseelt ist. Du bist zu Hause in dir, in deiner Seele.“
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DER SINGENDE BAUM Tim Winton Seite 181/182
Georgie war kaum einundzwanzig, eine bibbernde Auszubildende, als sie das erste Mal mit einer Leiche zu tun hatte. Die diensthabende Schwester hatte sie gerufen und ihr die letzten Handreichungen erklärt, das Herrichten des Verstorbenen. Betrachte es als Hausarbeit, sagte sie. Georgie kannte den Patienten, ein alter Mann namens Ted Benson, sie hatte ihn seit Wochen gepflegt. Sein Tod kam nicht unerwartet, aber Georgie war dennoch entsetzt. Sie musste ihn baden und seine Leibesöffnungen verstopfen und ihm die Glieder zusammenbinden, bevor er nach unten in die Leichenhalle kam. Kurz nachdem Georgie mit der Arbeit begonnen hatte, wurde die Schwester weggerufen, und sie blieb mit der Leiche allein. Das Zimmer wirkte furchtbar still und die Leiche zu groß für den beengten Raum. Schon fühlte die Haut sich kalt an, und sie schrubbte ihn energisch ab, als wäre die Wölbung seines Bauchs das Dach eines VW-Käfers, doch dann erinnerte sie sich an seine klaglose Anwesenheit auf der Station, seine sanfte Stimme, seine zurückhaltende Höflichkeit, und diese Erinnerung beschämte sie ein wenig und ließ sie langsamer werden. Sie widmete sich seinen sterblichen Überresten mit größerer Aufmerksamkeit. Sie wusch sein Gesicht und tupfte es so behutsam trocken, wie sie es getan hatte, als er noch am Leben war. Sie merkte, dass sie ihm tröstende Worte zuflüsterte, wie sie es mit einem Patienten tat, der sich in ihre Obhut begab. Georgie bedauerte nun nicht mehr, diese Arbeit tun zu müssen, sie bedauerte nur, dass sie ihn nicht hatte retten können. Ich habe dich gemocht, Ted, sagte sie. Ich habe deine Würde bewundert, weißt du. Ich vermisse dich jetzt schon. Sie verstopfte ihn, band ihm behutsam die Handgelenke zusammen und den Unterkiefer hoch, und als sie damit fertig war, wurde ihr klar, dass sie einen reinen Teil ihrer selbst gefunden hatte. Das Zimmer hatte plötzlich etwas Heiliges.
Seite 182
……..Keine von den anderen würde verstehen, dass sie wirklich gern eine letzte halbe Stunde allein mit ihrer toten Mutter gehabt hätte, bevor die Leichenbestatter sie abholten. Sie ausziehen, ja, und sie waschen, die kosmetische Kruste wegspülen, hinter der sie sich im Leben versteckt hatte, den ganzen Lippenstift, die Grundierung und das Rouge, den Augenbrauenstift und den Lidschatten. Sanft. Mit Ehrerbietung. Nicht wütend oder triumphierend, sondern als Geschenk einer Tochter. Ihnen beiden die Last von der Seele nehmen. Das wolltest du immer, ihr zeigen, was du am besten kannst, damit sie etwas über dich begreift. Ihr beweisen, dass du sie lieben kannst. In einem stillen Zimmer, allein. Bevor ihre Seele weg ist. Bevor dein Herz endgültig auf die Größe einer Feige verschrumpelt.